Was ist CBTR?
CBTR steht für Conscious Breathing for Trauma Recovery – ein speziell entwickeltes Programm, das bewusstes, kontrolliertes Atmen nutzt, um Traumafolgen auf Körper und Psyche zu lindern. Ziel ist es, durch gezielte Atemtechniken das autonome Nervensystem zu regulieren, Stressreaktionen zu mildern und die emotionale Resilienz zu stärken.
Das Programm berücksichtigt die komplexe Verbindung von Trauma, Körpergedächtnis und Nervensystem und bietet Betroffenen eine sichere und wissenschaftlich fundierte Methode zur Selbstregulation und Heilung.
Warum wirkt bewusste Atmung auf Körper und Psyche?
Dein autonomes Nervensystem steuert automatische Abläufe wie Atmung, Herzschlag und Verdauung. Es besteht aus zwei Hauptsystemen: dem aktivierenden Sympathikus („Kampf oder Flucht“) und dem beruhigenden Parasympathikus („Ruhe und Verdauung“). Gerät dieses System durch chronischen Stress aus dem Gleichgewicht, entstehen oft Unruhe, Ängste oder Erschöpfung. Durch bewusste, langsame Atmung aktivierst du gezielt den Parasympathikus – und bringst dein System wieder in Balance.
Wer hat CBTR entwickelt?
CBTR wurde von den Atemspezialistinnen und Breathwork-Trainerinnen Brigitte Martin Powell (Frankreich) und Judee Gee (UK) entwickelt. Beide sind ehemalige Präsidentinnen der International Breathwork Foundation (IBF), einer internationalen Organisation zur Förderung von Atemarbeit.
Während der Entwicklung des Programms waren sie Mitglieder der IBF-UN Arbeitsgruppe, die bewusste Atemprojekte im Einklang mit der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung vorantreibt. Diese Verbindung unterstreicht die Bedeutung von CBTR als globale und nachhaltige Ressource für Traumaheilung.
Für wen wurde CBTR ursprünglich entwickelt?
Ursprünglich zielte CBTR auf die Bedürfnisse von Geflüchteten, Migranten, Opfern von Naturkatastrophen sowie Helfern und Freiwilligen in Krisensituationen ab.
Inzwischen wurde das Programm auf alle Menschen ausgeweitet, die unter Trauma, Angst, Burnout oder Depression leiden.
Damit ist CBTR heute eine weitreichend anwendbare Methode, die sich auf verschiedenste Lebenslagen und Belastungen einstellt.
Warum Atemarbeit bei Trauma?
Traumata manifestieren sich häufig nicht nur psychisch, sondern auch körperlich – durch Anspannung, Atembeschwerden und ein dauerhaft aktiviertes Stresssystem.
Die Atmung ist der einzige automatische Körperprozess, den wir bewusst steuern können, und dient als direkter Zugang zum Nervensystem.
Durch bewusstes Atmen senden wir gezielte Signale ans Gehirn, die Gedanken, Gefühle und Verhalten beeinflussen. So kann bewusste Atemarbeit helfen, aus Zuständen von Übererregung (Hyperarousal) oder Erstarrung (Hypoarousal) auszusteigen und das Nervensystem neu zu kalibrieren.
Autonomes Nervensystem
Das autonome Nervensystem verstehen
Das autonome Nervensystem (ANS) steuert lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Immunabwehr. Es besteht aus zwei Hauptkomponenten:
Sympathikus: Aktiviert den Körper in Stresssituationen („Kampf-oder-Flucht“), erhöht Puls, Atmung und Muskelspannung.
Parasympathikus: Fördert Erholung, Verdauung und Regeneration („Ruhe-und-Verdauung“).
Ein gesundes Gleichgewicht zwischen beiden Systemen ist essenziell. Bei Menschen mit Trauma ist dieses Gleichgewicht oft gestört, was zu chronischem Stress und körperlichen Beschwerden führt. CBTR zielt darauf ab, die Balance wiederherzustellen und so Heilungsprozesse zu ermöglichen.
Der Vagusnerv – dein Schlüssel zur inneren Sicherheit
Die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges zeigt: Der Vagusnerv verbindet Gehirn, Herz und Bauch – und reguliert, ob du dich sicher oder bedroht fühlst. Wenn du kohärent atmest, stimulierst du diesen Nerv direkt. Das stärkt dein soziales Nervensystem und ermöglicht dir, dich wieder sicher, verbunden und ruhig zu fühlen – besonders wertvoll, wenn du Trauma erlebt hast.
Kohärentes Atmen
Herzstück von CBTR ist das kohärente Atmen mit etwa 5 Atemzügen pro Minute – das entspricht einem Atemzyklus von ca. 12 Sekunden, etwa 6 Sekunden Einatmen und 6 Sekunden Ausatmen. Dieses langsame, tiefe Atmen erhöht die Herzfrequenzvariabilität (HRV) und aktiviert den Parasympathikus.
Änfanger
Um das Üben zu erleichtern, empfiehlt CBTR eine progressive Anpassung:
- Zunächst 3 Sekunden einatmen, 3 Sekunden ausatmen
- Dann allmählich auf bis zu 6 Sekunden Ein- und Ausatmung steigern
Das sorgt für eine angenehme und nachhaltige Regulation des Nervensystems und fördert Ruhe und innere Ausgeglichenheit.
Wirkung auf Körper und Psyche
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen die positiven Effekte kohärenter Atemarbeit:
- Verbesserte Herzfrequenzvariabilität (HRV) als Zeichen eines gut regulierten autonomen Nervensystems
- Reduktion von Angst, Stress und Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen
- Förderung emotionaler Resilienz und innerer Stabilität
- Besserer Schlaf und erhöhte körperliche Entspannung
CBTR wirkt also sowohl auf physiologischer als auch psychischer Ebene und unterstützt nachhaltig die Erholung nach traumatischen Erfahrungen.
Auch deine Hormone atmen mit
Bewusstes Atmen beeinflusst nicht nur dein Nervensystem, sondern auch deine hormonelle Balance. Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin sinken, während beruhigende Stoffe wie GABA und das „Kuschelhormon“ Oxytocin steigen. Das fördert Entspannung, Nähe und emotionale Ausgeglichenheit – allesamt wichtige Ressourcen auf deinem Weg zu mehr Selbstregulation.
Anleitung CBTR
Atembeobachtung
Die Praxis beginnt mit einer einfachen, aber wirksamen Atembeobachtung: Setze oder lege dich an einen ruhigen Ort, atme entspannt durch die Nase ein und aus und werde dir deines Atemrhythmus bewusst – ohne ihn zu verändern. Nimm wahr, wie tief oder flach du atmest, ob der Atem eher schnell oder langsam ist.
Kohärentes Atmen
Im nächsten Schritt übst du das kohärente Atmen:
- Atme bewusst 3 Sekunden ein und 3 Sekunden aus.
- Steigere die Atemzeiten langsam bis zu 6 Sekunden ein- und ausatmen.
Finde deinen angenehmen Rhythmus, der dich entspannt.
Praktiziere diese Atemübung am Anfang dreimal täglich für je fünf Minuten (die sogenannte „365-Regel“) und integriere später auch kurze Mikroübungen im Alltag, z. B. beim Sitzen, Gehen oder Warten.
Emotionale Reaktionen
Traumaarbeit mit Atem kann tiefgehende emotionale Reaktionen auslösen: Tränen, Wut, Angst oder Traurigkeit sind häufige Begleiter. Dies ist ein wichtiger Teil des Heilungsprozesses – das Ausdrücken und Integrieren von Emotionen.
Es ist wichtig, solche Gefühle nicht zu unterdrücken, aber auch die Praxis mit Achtsamkeit zu begleiten. Bei starken oder überwältigenden Reaktionen sollte professionelle Unterstützung in Anspruch genommen werden. CBTR bietet einen sicheren Rahmen, dennoch ist individuelle Begleitung für manche Betroffene sinnvoll.
Integration in den Alltag
Nach der Eingewöhnungsphase kannst du CBTR ganz flexibel in deinen Alltag integrieren:
- Kurze Atempausen als „Atemanker“ helfen, stressige Situationen zu entschärfen.
- Bewusste Atemübungen beim morgendlichen Aufwachen oder vor dem Einschlafen fördern einen ausgeglichenen Tag- und Nachtrhythmus.
Die regelmäßige Praxis stärkt dauerhaft die Selbstregulation und das Wohlbefinden.
Herzratenvariabilität: dein innerer Rhythmus
Deine Herzratenvariabilität (HRV) zeigt, wie gut dein Körper zwischen Stress und Entspannung wechseln kann. Studien zeigen: Durch regelmäßiges kohärentes Atmen – 6 Sekunden ein, 6 Sekunden aus – kann sich deine HRV verbessern. Du wirst gelassener, flexibler und belastbarer im Alltag.
Für wen ist CBTR geeignet?
CBTR richtet sich an ein breites Spektrum von Menschen, darunter:
- Menschen mit Trauma, Angststörungen, Burnout und Depression
- Helfer, medizinisches Personal und Freiwillige in Krisensituationen
- Geflüchtete, Migranten und Opfer von Naturkatastrophen
- Alle, die ihr Nervensystem stärken und ihre emotionale Stabilität verbessern wollen
Da CBTR eine sichere, nicht-invasive Methode ist, eignet sie sich auch als ergänzende Praxis zur psychotherapeutischen Behandlung.
Co-Regulation: in Gruppensessions gemeinsam zur Ruhe kommen
Wenn wir gemeinsam atmen, synchronisiert sich oft unser innerer Zustand. Diese sogenannte Co-Regulation ist besonders heilsam – vor allem, wenn Nähe oder Vertrauen schwierig geworden sind. Das bewusste Atmen in der Gruppe stärkt nicht nur dein Nervensystem, sondern auch dein Gefühl von Verbundenheit und Sicherheit.